Am Hauptbahnhof Koblenz
Die Ausstellung der Deutschen Bahn 2011 im Lützeler Eisenbahnmuseum über die Deportationen der Reichsbahn fand große Beachtung. Die drei Vereine, sowie die Sinti und Roma von Koblenz beschlossen, über die Ausstellung hinaus eine „Markierung“ dieser denkwürdigen Ereignisse für den Koblenzer Hauptbahnhof und den Lützeler Bahnhof zu realisieren. Die Form des zu stiftenden Denkmals sollte einem heutigen künstlerisch-ästhetischen Stand entsprechen, wie er sich in der Erinnerungskunst und dem sie begleitenden Mahnmal-Diskurs der letzten 30 Jahre entwickelt hat.
Zum Namen „Menetekel“: Biblisch sah der babylonische König Belsazzar bei einem gotteslästerlichen Gelage erschreckt eine mysteriöse Hand in Feuerschrift eine unverständliche Folge von Buchstaben an die Wand schreiben: Mene mene tekel uparsin. Der Prophet Daniel deutete sie ihm als göttlichen Gerichtsspruch (Daniel 5. Kapitel).
Menetekel, seitdem als Vokabel für warnende Hinweise aufgefasst, erscheint in Koblenz durch die installierte Laufschrift in ganz unmysteriöser Weise auf einer Wand der Bahnhofshalle. Ob ihr Text heute zum Menetekel wird, das Wachsamkeit für aktuelle Gefahren des Antisemitismus und Verachtung der Sinti und Roma, Fremdenfeindlichkeit
aber auch für eine Pietät gegenüber den Toten wird, entscheiden die Passanten dieses Ortes.
Text des Menetekels am Hauptbahnhof :
„Von diesem Bahnhof sowie dem ehemaligen Güterbahnhof Koblenz-Lützel wurden während der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus weit über eintausend Juden, Sinti und Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, engagierte Christen, Bürgerliche, katholische und evangelische Geistliche, Zeugen Jehovas, Emigranten, Zwangsarbeiter,
Homosexuelle, Kriegsdienstverweigerer und andere Opfer verschleppt. Fast immer stand am Ende ihrer Reise der Tod.“
Am Bahnhof Lützel
Künstlerisches Konzept des Koblenzer Menetekels
oder: Gedenken an die Deportationen der NS-Zeit am Transit-Ort: Bahnhof Koblenz
1. Anlass und zeitgeschichtlich-künstlerischer Kontext
Die Ausstellung der Deutschen Bundesbahn über die Deportationen der Reichsbahn 2011 im Koblenzer Bahnhof fand große Beachtung. Mehrere Vereine, die jüdische Gemeinde wie die Sinti von Koblenz beschlossen, über die Ausstellung hinaus eine „Markierung“ dieses denkwürdigen Ereignisses zu realisieren. Sie werden in diesem Vorhaben unterstützt von zahlreichen Bürgern und Bürgerinnen, Kirchen und allen Fraktionen des Stadtrats.
Die Form des zu stiftenden Gedenkmals sollte einem heutigen künstlerisch-ästhetischen Stand entsprechen, wie er sich in der Erinnerungskunst und dem sie begleitenden Mahnmal-Diskurs der letzten 30 Jahre entwickelt hat.
Mit Blick auf das Gedenken der NS-Zeitbefinden wir uns in einer markanten Übergangssituation: der von einer Zeit der ZeitzeugInnen zu einer Zeit danach. Nach Jan Assman ist diese Zeit charakterisiert durch den Übergang einer informellen kommunikativen Erinnerung zu einer kollektiven. Während erstere die Erinnerung an das Geschehen insgesamt unorganisiert in lebensweltlicher Kommunikation weitergibt, verlangt die Phase danach, dass sich ein Kollektiv bzw. eine Gesellschaft bewusst auf Formen und Rituale verständigt, die die Erinnerung wachhält.
Der Grund für diesen Übergang: die erlebte Hinfälligkeit der ZeitzeugInnen legt dabei den Gedanken an Stein und Metall als Medien der Erinnerung nahe. Schließlich eignet beiden eine „Aura“ fast von Ewigkeit. Zumindest übersteigt beider Halbwertzeit die des Menschen um ein Vielfaches. Als Formen stehen Stelen, Säulen u.ä. wie Tafeln traditionell zur Verfügung. Auf diesen Formen lastet allerdings eine ästhetische wie politisch Hypothek: Sie funktionieren wie ein Passepartout, erinnern in derselben Form an alles Mögliche und werden austauschbar. Unbeabsichtigt leisten sie so einem Gedenken Vorschub, das nivelliert.
So etwa ein Mal von Richard Serra, das "Berlin Junction" heißt und in Berlin in der Tiergartenstrasse 4 vor dem Gebäude steht, von dem aus die Euthanasie als Geheimaktion gesteuert wurde. Zwei geschwungene großdimensionale Cortenstahl-Platten lassen einen „schmalen, bedrohlich wirkenden, schluchtartigen Durchgang entstehen. Obwohl nicht als Mahnmal für diesen Ort und Zweck entworfen, wurde die zuvor auf Ausstellungen präsentierte Skulptur vom Künstler selbst und von den Initiatoren (...) nun so interpretiert und durch eine in den Boden eingelassene Gedenktafel des Künstlers Volker Bartsch dem "T4"-Gedenken gewidmet." (Stefanie Endlich) Das allerdings bringt die Fragwürdigkeit dieser Mahnmalpraxis zum Vorschein. Wenn Skulpturen so multifunktional sind, dass sie praktisch überall hin passen, fragt man sich, ob die Formel selbst, der sie folgen, stimmen kann. Verbindet sie nicht allzu locker die Skulptur mit dem Ort und damit auch das Gedenken mit dem Geschehenen - eben rein additiv und damit so, dass durch schlichte "Subtraktionen" diese Zusammenhänge aufgelöst oder umfunktioniert werden können? Und bieten sich solche Mahnmale nicht geradezu dem Missbrauch an, nämlich je nach politischer Konstellation und Tageslaune umgewidmet zu werden? Das ist nicht nur eine abstrakte Möglichkeit, sondern Realität Das "Mahnmal zum Gedächtnis des Widerstands im Dritten Reich" von Hans Uhlmann, selbst Häftling in dieser Zeit, konnte so mühelos zum Denkmal für die Opfer des 17. Juni umdeklariert werden. Genau besehen wird in solchem Umgang die Verdinglichung von Menschen zu Opfern auf der Ebene symbolischer Repräsentation wiederholt. Sowohl die reale Erniedrigung zu Nummern wie die symbolische Umwidmung zeigen, dass man die Betroffenen für austauschbar hält.
In der überraschend innovativen und künstlerisch schon heute sehr anerkannten Mahnmal-Kunst der letzten Jahrzehnte hat sich ein Verständnis durchgesetzt, das Gedenkstättenforscher J.E.Young als „Antidenkmäler“ apostrophiert hat. Verschränkt war und ist dieser Prozess mit einem Diskurs, der in großer Breite geführt, intensiv Bedingungen, Funktionsweisen, Medien und Formen des kulturellen Erinnerns durchdrungen hat. Mahnmale in diesem Zusammenhang sind skeptisch geworden gegenüber Stele, Säule und Sockeln. Die Aura des Ehernen und Bronzenen kann zu leicht verleiten zu einem Gedenken, das feiertäglich ritualisiert durchgeführt wird, doch lebenspraktisch unverfänglich bleibt. Angezielt wird deshalb ein niedrigschwelliges Gedenken. Erinnern soll unpathetisch in den Alltag des zivilen Lebens integriert sein. „Erinnern ist wie Blumengießen“, meinte Jochen Gerz, um dieses Moment eines unprätentiösen Erinnerns zu benennen. Für die künstlerische Gestaltung bedeutet das, dass sie nicht einfach triviale Muster der Alltagswahrnehmung wiederholt, doch sich in diese Kontexte, Differenz setzend, einbringt. Deshalb wurden Mahnmale entsockelt und kommunikativ gemacht. Nicht auf Stein und Metall als Erinnerungsmedien wird primär gesetzt, sondern darauf, dass lebendige Menschen sich involvieren lassen. Jochen Gerz und seine Frau Esther Shalev-Gerz bringen das pointiert zum Ausdruck, wenn sie bürgerschaftliches Engagement statt Steinen reklamieren. Auf dem Mahnmal gegen Faschismus, Krieg, Gewalt (1986), das als Musterbeispiel sozial-interaktiver Erinnerungskunst gilt, endet ihr Appell an die Bürger um Beteiligung mit der Klarstellung:
„Denn nichts kann auf Dauer an unserer Stelle sich gegen das Unrecht erheben.“
2. Konzept des Koblenzer „Menetekel“ – oder: Laufschrift am Ort der Deportation
Für das Gedenken auf dem Koblenzer Bahnhof werden aus der obigen Skizze zwei Kriterien abgeleitet, die zur Geltung zu bringen sind:
1. Spezifik: Eine Gedenkmarkierung sollte dem Geschehen, an das zu erinnern ist, in spezifischer Weise nahekommen.
2. Kontextuelle Einbettung: Sie sollte sich durch eine Aufmerksamkeit für den Kontext und die damit gegebenen Rezeptionsweisen der Angesprochenen ausweisen.
Wer sich am Bahnhof aufhält, sucht hier keine Bleibe. Er erwartet Ankommende oder begleitet Abfahrende, kommt selber an oder ist am Abreisen. Der Bahnhof ist Transitort schlechthin. Wie nun an einem so durch und durch „flüchtigen“ Ort dem Gedenken einen Bleibe geben?
Für viele Menschen, Juden und Jüdinnen, Sinti und andere war er der Ort, von dem sie deportiert wurden. Nicht wenige Zuschauer und Zuschauerinnen dieses Geschehens wussten auch damals schon, was heute ein Mahnmal veranlasst: Es war ein Transit in den gewaltsamen Tod. Die Deportation als Moment der Verfolgung und Vernichtung ist deshalb für ein künftiges Gedenken von besonderer Bedeutung, weil an diesem (halb-)öffentlichen Ort die Diskriminierung und Exkommunikation aus der Öffentlichkeit in so klarer Weise für die Bürger und Bürgerinnen der Stadt sichtbar wurde. Historisch belegt ist, dass es auch damals öffentlich wahrgenommen wurde als das, was wir heute Event nennen: ein durchaus spektakuläres Ereignis…
An dieses Geschehen soll mit einer Laufschrift erinnert werden. Sie ist flüchtig wie das Geschehen an diesem Ort bis heute, sie ist transitorisch wie es die Deportation war. Sie „schmiegt“ sich „an“ an die Medien und Wahrnehmungsweisen, die in der Bahnhofshalle zu finden sind. Von diesen hebt sie sich so wenig ab, wie die damaligen Deportationen ihrerseits nicht aus dem Transportsystem ausgenommen waren. Im Gegenteil: Waggons, Lokomotiven Schienen und Weichen, die gesamte professionelle Logistik griff schließlich, um diesen Transit möglichst effektiv zu realisieren. In der Sprache des Ortes und mit seinen Zeichen soll an das Geschehen an diesem Ort erinnert werden.
Den heute Reisenden begegnen hier diverse Werbungsanzeigen und zentral die Anzeige ihrer Abfahrt. Wer danach Ausschau hält, begegnet im ähnlichen Medium der Information, was in der NS-Zeit am selben Ort, im selben Zusammenhang des Reisens und doch so abgründig „anders“ geschah. Dieses „Mahnmal“ hebt darauf ab, dass gerade die situative und mediale Ähnlichkeit die Differenz des Textes zu den anderen wie Werbung und Abfahrtszeiten umso schärfer wahrgenommen wird.
Dem Ort und seinem Transitcharakter entsprechend kann und will der Text nicht lang sei. Denkbar knapp verzichtet er darauf, auch nur den Schmerz der damals Betroffenen wie ihrer Nachfahren anzudeuten. Verzichtet wird auf Aussagen zu den Umständen der Deportation oder einer Bedeutung für uns Heutige.
„Von diesem Bahnhof sowie dem ehemaligen Güterbahnhof Koblenz-Lützel wurden während der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus weit über eintausend Juden, Sinti und Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, engagierte Christen, Bürgerliche, katholische und evangelische Geistliche, Zeugen Jehovas, Emigranten, Zwangsarbeiter,
Homosexuelle, Kriegsdienstverweigerer und andere Opfer verschleppt. Fast immer stand am Ende ihrer Reise der Tod.“
Gehofft wird, dass dennoch, oder gerade wegen der „flüchtigen“, beiläufigen und knappen Gestalt der Botschaft der ein oder die andere die Erinnerung an dieses Geschehen mit auf die eigene Reise nimmt. Eine Halterung unterhalb der Laufschriftanzeige hält Material mit historischen Informationen für Interessierte bereit.
Entsprechend soll am Bahnhof Koblenz-Lützel ein Blechschild über dem Zugang zu den Gleisen angebracht werden, das sich in Material und Form an die in diesem Kontext zu findenden und erwarteten Hinweisschilder anpasst: eine schwarze einfache Schrift auf weißem Grund teilt mit:
„Von diesem Bahnhof, der damals ein reiner Güterbahnhof war, wurden in den Jahren 1942 und 1943 insgesamt 870 jüdische Mitbürgerinnen und
Mitbürger verschleppt. Nur einige wenige überlebten das Grauen der Konzentrations- und Vernichtungslager.“
Zum Namen Menetekel: Biblisch sah der babylonische König Belsazzar bei einem blasphemischen Gelage erschreckt eine mysteriöse Hand in Feuerschrift eine unverständliche Folge von Buchstaben an die Wand schreiben: Mene mene tekel uparsin. Der Prophet Daniel deutete sie ihm als göttlichen Gerichtsspruch. (Daniel 5. Kapitel)
Menetekel, seitdem als Vokabel für warnende Hinweise aufgefasst, erscheint in Koblenz durch die installierte Laufschrift in ganz unmysteriöser Weise auf einer Wand dieses halböffentlichen Raumes. Ob ihr Text heute zum Menetekel wird, das Wachsamkeit für aktuelle Gefahren des Antisemitismus und Verachtung der Sinti, Fremdenfeindlichkeit aber auch für eine Pietät gegenüber den Toten wird, entscheiden die Passanten dieses Ortes.
Dr. Paul Petzel